Es ist eine Vehemenz im Titel: „Brief Encounter“ – eine kurze Begegnung. Ein sinnliches und ängstliches Treffen. Sie hat etwas im Auge, der Arzt hilft. Die schicksalhafte Fügung der Liebe, so unverstanden wie auch eigensinnig. In der Nachkriegszeit ist es das größte Gut, eine Familie, sowie ein festes Standbein im sozialen Leben zu haben. Doch die Protagonisten wehren sich gegen diese Normen, sie ergründen ihre Liebe, offenbaren ihre Gefühle. Sie verlaufen sich in ihren Emotionen, unwissend, wie sie mit all dem umgehen sollen. Doch sie haben sich. Während die Protagonisten im Clinch mit sich selbst, ihrem Gewissen und ihren Gefühlen stehen, ist der Protagonist derjenige, der die Liebe zwischen den Beiden entdeckt und die gegenseitigen Gefühle entfacht: „Ich liebe dich. Ich liebe deine großen Augen, die Art, wie du lächelst, deine Schüchternheit, und wie du über meine Witze lachst.“

Laura Jesson (Celia Johnson) ist genauso wie Dr. Alec Harvey (Trevor Howard) in einer verheirateten Beziehung. Beide haben Kinder. Und beide finden sich an einem Donnerstag in einer Bahnhofskneipe, nachdem Harvey in seiner Funktion als Arzt das undefinierbare Etwas aus den Augen Lauras geholt hat. Aus einem Treffen werden wöchentliche Wiedersehen. Immer donnerstags. Immer in der Bahnhofskneipe. Aus Freundschaft wird Liebe; und bald wird der Grat zwischen platonischer Liebe und einer Affäre immer dünner.

Es ist scheinbar Liebe auf den ersten Blick. Eine Liebe, die nicht gleich entfacht, aber tief in ihnen jederzeit präsent ist. Wider dem besseren Gewissen kommen sich Laura und Alec jedes Mal näher, wenn sie sich treffen. Für Laura ist Alec der liebende Freund und das komplette Gegenteil zu Fred, ihrem Ehemann. Er ist distanziert und kalt. Und dennoch liebt er seine Frau. Es ist das vollendende Vertrauen, welches dies symbolisiert und die Taten Lauras dadurch umso mehr in ein kritisches Verständnis rückt. Fred ist kein Tyrann, niemand, der seine Frau mit Ablehnung straft. Und doch fühlt sich Laura unverstanden, distanziert sich innerlich von ihm. Bei einem Kreuzworträtsel fragt Fred seine Frau nach einer Lösung – „Romantik, denke ich. Ich bin mir fast sicher, das ist es.“ –, doch dabei denkt sie nicht an ihren Ehemann. Es ist Alec, der in ihren Gedanken lebt.  Doch genauso signifikant, wie er sich in ihren Gedanken ausbreitet, so groß sind die Zweifel an ihren Gefühlen und Taten. Sie ist gefangen in den Konventionen, in denen Ehebruch noch deutlich tabuisierter ist als in der heutigen Gesellschaft. Es sind Sünden, die einen aus der Gesellschaft abgrenzen. Laura aber fürchtet sich nicht davor. Es ist vielmehr die nicht ausgesprochene Angst vor sich selbst. Die Angst davor, sich selbst zu verlieren und in das eigene Unglück zu laufen, während ihre Kinder und ihr Ehemann zu Hause sind; ungeahnt dessen, was die Frau tut.

In der Szene, in der Laura nach einem Treffen mit Alec nach Hause kommt, und von ihrem Mann erfährt, dass ihr Sohn einen Unfall hatte, werden diese Zweifel metaphorisch manifestiert. Doch genauso schnell klingen sie ab, als der Arzt Ernüchterung verstreut: Es sei nur eine leichte Verletzung. Laura lacht bald darauf in einer Szene hysterisch drauf los, ohne wirklich durchblicken zu lassen, wieso. Es reißt Laura auseinander, nicht zu wissen, wie sie sich entscheiden soll. Alec hingegen ist das moralische Gegenstück zu Laura: Er ist sich seiner Liebe gewiss, obgleich er weiß, dass die Beziehung keine Zukunft hat. Kämpfend richtet er sich gegen die Zweifel von Laura und überzeugt sie ihrer und seiner Liebe zueinander. Es ist das umgekehrte Gewissen, welches Laura sich für ihre Gefühle entscheiden und nicht durch Alecs Forschheit abschrecken lässt. Ungestüm bleibt das Ganze aber dennoch, denn trotz Alecs ungebundener Zuneigung verfängt sich Laura immer in ihren moralischen Auseinandersetzungen, die den Film fern einer verkitschten Liebesschnulze, sondern geradewegs in ein Anagramm der Gefühle bringt.

Alec: Ich liebe dich. Ich liebe deine großen Augen, die Art, wie du lächelst, deine Schüchternheit, und wie du über meine Witze lachst.
Laura: Bitte nicht.
Alec: Ich liebe dich. Ich liebe dich. Du liebst mich auch. Es nützt nichts vorzugeben, es wäre nicht passiert – weil es passiert ist.

Durch das Voice-over bleibt der Zuschauer narrativ auf einer simplen Höhe und kann den Film allein durch die Gefühle verfolgen, die er selbst empfindet. Ob zusammen im Kino, auf einer romantischen Bootsfahrt, oder einem Spaziergang über die Brücke – es ist die Liebe, die die Bilder ausdrücken und keine Aneinanderreihung von defizitären Narrationen. Hier überwiegt der Inhalt, der sich vollkommen leicht manifestiert: zwei Menschen, ein Schicksal, verschiedene Leben. David Lean, der sich heutzutage durch Historienepen einen Namen gemacht hat, lässt auch hier bereits die Ambivalenz seiner Charaktere, die er später ebenso in „Lawrence von Arabien“, als auch in „Geheimnisvolle Erbschaft“ charakterisiert, durchblicken. Er vergisst nicht die Distanz, die er halten muss, damit die Darstellung nicht romantisiert, aber er bleibt auch nicht zu weit auf Distanz, sodass die Charaktere erkalten. Es ist ein geradezu meisterhaft kalkuliertes Versprechen an den Zuschauer, die Personen zu verstehen und sie l(i)eben zu lassen. Der Fokus liegt allein auf seinen beiden Protagonisten – keine Nebencharaktere erhalten eine überwiegende Relevanz. Sie sind nur der Mittel zum Zweck, damit die Gefühle zwischen Laura und Alec weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Ob ein Klavierkonzert von Rachmaninow oder die dem Film-noir-typischen Kameraaufnahmen – David Lean vergisst trotz seines inhaltlichen Schwerpunktes den handwerklichen Aspekt nicht. Die Arbeit mit Schatten sowie den aufregenden und teils ungemein symbolisch angewendeten Schnitt. Wenn der erste Kuss beider Protagonisten erfolgt, wechselt die Kamera auf einen vorbeirasenden Zug, der die innerlichen Gefühle, als auch den unausweichlichen Blick nach vorne symbolisiert: Die Zweisamkeit ist nur der Moment. Wenn Rachmaninows zweites Klavierkonzert einsetzt, erklimmen die Emotionen ein neues Gebiet voller Sehnsüchte, Liebe und verborgenen Intentionen. Unbewusst, wie die (niemals zur Affäre ausartende) Beziehung der beiden enden soll, zerreißen die Charaktere immer mehr an ihren eigenen Wünschen, bis zum Schluss nur noch der Verlust von Allem dasteht.

David Leans „Begegnung“ ist ein Kammerspiel der Emotionen, auf ein minimales lokales Gebiet begrenzt. Es stehen nur die Gefühle der Protagonisten im Zentrum des Geschehens und es ist auch das Einzige, was einen inhaltlichen Schwerpunkt markiert. So klar entzifferbar die kritischen Untertöne des Films auch sind: Lean ist sich seinen Charakteren verschrieben, die er akzeptiert und lieben lässt. Vielleicht der beste Liebesfilm, den es gibt.

Meinungen

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